Mit dem Kiffen aufhören

Die Entscheidung treffen ist die erste Hürde – doch die wirkliche Arbeit beginnt erst danach. Ein ehrlicher Ratgeber für alle, die aus dem täglichen Konsum aussteigen möchten.
Es ist ein stilles Eingeständnis, das viele erst mal überwinden müssen: Das Kiffen, das irgendwann Entspannung und Spaß bedeutet hat, ist zur Routine geworden. Zur notwendigen Routine. Wir bei Krautvergleich befürworten die Legalisierung von Cannabis und sehen in der Pflanze großes Potenzial – therapeutisch, gesellschaftlich und als Konsumprodukt für Erwachsene. Doch genau weil wir das ernst meinen, müssen wir auch sagen: Für einen Teil der Konsumenten führt regelmäßiger Gebrauch zu einer psychischen und körperlichen Abhängigkeit, die das Leben deutlich verschlechtert. Das ist nicht moralisch zu verdammen, aber es ist real und verdient ehrliche Aufklärung statt Beschönigung. Und irgendwann fällt auf – oder wird unbequem deutlich gemacht – dass es so nicht mehr weitergehen kann. Der Führerschein ist weg, die Konzentration auf der Arbeit ein Fremdwort, oder einfach: Das Leben verläuft im Nebel, und man vermisst die Klarheit. Der Gedanke wächst, dass es Zeit für eine Veränderung ist. Doch wie geht das eigentlich – mit dem Kiffen aufhören?
Dieser Artikel ersetzt keine medizinische Beratung und dient ausschließlich als allgemeiner Leitfaden; bei akuten oder anhaltenden gesundheitlichen Problemen sollte stets umgehend professionelle medizinische Hilfe, zum Beispiel durch Ärztinnen und Ärzte oder eine Suchtberatungsstelle, in Anspruch genommen werden.
Die unangenehme Wahrheit: Ja, es gibt Entzugssymptome
Lange Zeit wurde das einfach wegdiskutiert. Cannabis mache nicht körperlich abhängig, hieß es. Das ist nur die halbe Wahrheit. Besonders bei langjährigen Konsumenten zeigen sich tatsächlich körperliche und psychische Entzugssymptome, wenn der Konsum eingestellt wird. Körperlich kann es aussehen wie folgt: Kopfschmerzen, übermäßiges Schwitzen, Übelkeit und Durchfall, ein völlig verlorenes Hungergefühl, Schlafstörungen und ein ständiges Muskelzittern. Das sind keine angenehmen Begleiter, und es ist wichtig, das zu wissen – nicht um dich abzuschrecken, sondern um dich darauf vorzubereiten.
Die psychischen Symptome wiegen oft schwerer: Nervosität und Unruhe, heftige Stimmungsschwankungen, Depressionen und Angstattacken, wirre Träume und Alpträume. Viele berichten von einer inneren Leere, von Reizbarkeit, die überraschend heftig ausfällt, und vor allem: von diesem intensiven Craving, diesem Verlangen, das einfach nicht weggehen will. Etwas Gutes: Die meisten dieser Symptome sind während der ersten Woche am intensivsten. Meist setzen sie 24 bis 48 Stunden nach dem letzten Konsum ein und klingen nach etwa einer bis zwei Wochen deutlich ab. Im Extremfall dauern sie bis zu 14 Tage an. Mit anderen Worten: Es ist nicht für immer, aber es ist real.
Das biologische System verstehen
Um zu wissen, wie man aus dem Kiffen rauskommt, hilft es, zu verstehen, warum das Gehirn sich ans Cannabis gewöhnt hat. Cannabis wirkt über das psychoaktive Tetrahydrocannabinol – kurz THC – und bindet an Cannabinoid-Rezeptoren im Gehirn. Besonders wichtig: Das Belohnungssystem wird beeinträchtigt. Dopamin wird freigesetzt, was sich angenehm anfühlt. Mit der Zeit lernt das Gehirn, dass es diese Droge „braucht", um sich gut zu fühlen, um mit Stress umzugehen oder um Angst zu reduzieren. Das Problem: Das funktioniert. Kurzfristig. Deshalb hat sich aus dem gelegentlichen Joint eine tägliche Gewohnheit entwickelt. Das Gehirn hat verlernt, diese Dinge ohne Hilfe zu regulieren. Beim Entzug muss es das wieder lernen – und das ist anstrengend.
Der Startpunkt: Vorbereitung ist alles
Spontan aufhören zu versuchen ist möglich, aber es ist nicht der intelligenteste Weg. Besser ist es, sich konkrete Zeit zu nehmen, das Vorhaben durchzudenken und zu planen.
Schritt eins: Versteh deinen Konsum. Wann kifft du? Nach der Arbeit? Bei Stress? Wenn bestimmte Freunde vorbeikommmen? Mit wem kifft du? Allein oder in der Gruppe? Was gibt dir das Kiffen – Ruhe, Ablenkung, Zugehörigkeit? Diese ehrlichen Antworten sind nicht für den Papierkorb, sondern für dein Verständnis. Denn wenn du weißt, dass du jeden Abend nach der Arbeit kiffst, um den Stress abzubauen, dann weißt du auch, dass du nach der Arbeit einen anderen Weg finden musst, mit dem Stress umzugehen.
Schritt zwei: Trigger identifizieren und Strategy entwickeln. Trigger sind die Momente, Menschen und Orte, die das Verlangen nach Kiffen auslösen. Das kann die Freundesgruppe sein, die regelmäßig trifft. Das kann ein bestimmter Ort sein. Das kann selbst eine Tageszeit sein. Hast du diese Trigger identifiziert, dann kannst du dir bereits im Vorfeld Alternativen überlegen, wie du damit umgehen wirst. Wenn du weißt, dass der Freundeskreis ein großes Trigger ist – kommst du da für eine Weile raus? Triffst du sie trotzdem, aber mit einer anderen Aktivität, bei der Kiffen weniger natürlich ist, etwa Sport?
Schritt drei: Bereite dich auf die Symptome vor. Wissen, was kommen könnte, macht es leichter. Besorg dir im Vorfeld Dinge, die helfen werden: Gesunde Snacks für die Appetitlosigkeit, Kräutertees – besonders Ingwer- und Pfefferminztee gegen Übelkeit – und eventuell Medikamente gegen Kopfschmerzen. Erstelle einen Aktivitätsplan für die erste Woche, denn Ablenkung ist einer deiner besten Freunde.
Die praktische Realität: Was wirklich hilft
Sport ist nicht nur ein Ratschlag, es ist eine Therapie. Regelmäßige Bewegung – ob intensive Trainingseinheiten oder einfach nur Spaziergänge – hilft auf mehreren Ebenen gleichzeitig. Sport reduziert Stress, fördert die Ausschüttung von Endorphinen, den körpereigenen Glücksbringern, und lenkt dich ab. Wenn dein Körper müde wird, ist das Craving oft weniger intensiv.
Finde echte Alternativen. Die klassische Versuchung ist, statt Cannabis einfach Alkohol zu trinken. Das ist eine Falle. Du rutschst nur in die nächste Abhängigkeit. Besser ist es, sich wirklich neue Aktivitäten zu suchen: Malen, Handwerk, Kochen, Musik, Meditation. Es klingt banal, aber es funktioniert. Ein heißes Bad, ein langer Spaziergang mit guter Musik im Ohr, ein spannender Podcast – das sind reale Ersatzbefriediger, die deinem Gehirn auch Dopamin geben.
Schlaf und Ernährung sind nicht optional. Ja, die Schlafstörungen können frustrierend sein, aber ein regelmäßiger Schlafrhythmus hilft wirklich. Entspannungstechniken vor dem Schlafengehen – Yoga, progressive Muskelentspannung, Meditation – können helfen. Bei der Ernährung: Kleine, häufige Mahlzeiten statt großer Portionen, wenn der Hunger fehlt. Viel Wasser trinken unterstützt den Körper dabei, die Stoffe auszuscheiden.
Soziale Unterstützung ist crucial. Sag vertrauenswürdigen Menschen Bescheid, dass du aufhören möchtest. Die Unterstützung durch Menschen, die an dich glauben, macht einen enormen Unterschied. Anrufen statt allein zu sein, wenn das Craving stark wird, kann der Rettungsanker sein, den du brauchst.
Die psychische Dimension: Das Craving managen
Das intensive Verlangen nach einem Joint ist tückisch. Das Craving ist nicht rational, es ist nicht „nur psychisch" in dem Sinne, dass man es ignorieren kann. Es ist real und kann überwältigend sein. Was hilft: Zunächst, verstehen, dass intensive Cravings nicht ewig dauern. Sie kommen wellenweise, können heftig sein, aber halten meist nur 15-30 Minuten an. Wenn du das weißt, kannst du dich selbst sagen: „Das hält nicht an, nur durchhalten für diese halbe Stunde." Dann passiert etwas Anderes – nutze bewusst eine Aktivität, um deine Gedanken umzuleiten. Nicht passiv rumhängen und darauf warten, dass das Craving vorbeigehen, sondern aktiv etwas tun: den besten Freund anrufen, joggen, putzen, kochen. Ein hilfreiches mentales Tool: Erinnere dich selbst darauf, warum du aufgehört hast zu kiffen. Schreib dir einen Brief an dein zukünftiges Selbst, bevor du anfängst, mit dem Kiffen aufzuhören. Was stört dich? Was möchtest du verändern? Wenn das Craving brennt, kann dieser Brief dein Anker sein.
Die realistische Erwartung: Es wird unangenehm, aber nicht unmöglich
Erfahrungsberichte von Menschen, die es geschafft haben, zeigen ein klares Muster: Die erste bis zweite Woche ist hart. Nach etwa drei bis vier Wochen wird es zur neuen Normalität. Dein Gehirn beginnt, sich selbst wieder zu regulieren. Du merkst, dass dich Dinge wieder freuen, ohne dass Cannabis im Spiel ist. Der Nebel lichtet sich. Das bedeutet nicht, dass die Versuchung danach einfach weg ist. Rückfallrisiken bleiben bestehen, besonders wenn man sich zu früh sicher fühlt und wieder in die alten Situationen geht. Die erste Zeit sollte daher bewusst die Zeit sein, in der du Risikosituationen meidest – zumindest bis du dich wieder selbst bewusst in der Hand hast.
Professionelle Hilfe: Kein Schamgrund
Wenn du all das liest und merkst, dass du es allein vermutlich nicht schaffen wirst – oder wenn du es versuchst und scheitert – ist professionelle Hilfe nicht Plan B, sondern oft Plan A. Es gibt spezialisierte Programme wie CANDIS, ein verhaltenstherapeutisch ausgerichtetes Programm speziell für Cannabis-Konsumenten. Es umfasst zehn Sitzungen über zwei bis drei Monate, kostet nichts und arbeitet mit Motivationsförderung, kognitiver Verhaltenstherapie und Problemlösungsstrategien. Deine erste Anlaufstelle ist der Hausarzt oder eine Suchtberatungsstelle vor Ort. Sie können dich richtig einschätzen und in das richtige Programm vermitteln – ambulant oder stationär, je nachdem, wie heftig deine Abhängigkeit ist.
Der Anfang ist jetzt
Mit dem Kiffen aufzuhören ist kein moralisches Statement, keine Schande und keine magische Transformation über Nacht. Es ist ein Projekt, bei dem du deinem Gehirn und deinem Körper dabei hilfst, sich selbst wiederzufinden. Es wird unangenehm, ja. Aber es ist machbar. Tausende haben es geschafft. Es gibt echte Unterstützung. Und das Wichtigste: Es lohnt sich. Die Klarheit, die Energie, die Fähigkeit, wieder echte Freude zu empfinden – das wartet auf der anderen Seite. Nicht sofort, aber es wartet.
Quellen
- Avaay – Cannabis-Entzug: Sucht-Symptome, Therapie, Auswege
https://avaay.de/cannabis-entzug-sucht/ - Barmer – Cannabis: Abhängigkeit und Entzug
https://www.barmer.de/gesundheit-verstehen/medizin/cannabis/abhaengigkeit-entzug-1132250 - Das Suchtportal – Cannabis-Entzug-Symptome: Dauer, Gründe, Therapie
https://dassuchtportal.de/drogensucht/cannabis-entzug-symptome/ - Quit the Shit – Wissenswertes
https://www.quit-the-shit.net/qts/wissenswertes/ - MyWayBettyFord – Cannabis-Entzug-Symptome: Risikogruppen, Dauer & mehr
https://www.mywaybettyford.de/suchtkompendium/cannabis-entzug-symptome/ - MindZone – Tipps für den Cannabis-Entzug
https://mindzone.info/sucht/tipps-fuer-den-cannabis-entzug/ - Drugcom – Cannabiskonsum reduzieren oder aufhören: So haben es andere geschafft
https://www.drugcom.de/newsuebersicht/topthemen/warum-kiffer-aufhoeren-zu-kiffen-und-wie-sie-es-geschafft-haben/ - Drugcom – Gibt es Entzugserscheinungen bei Cannabiskonsum?
https://www.drugcom.de/haeufig-gestellte-fragen/fragen-zu-cannabis/entzugserscheinungen-bei-cannabiskonsum/ - CANDIS-Projekt – Therapie - Cannabis-Entwöhnung
https://candis-projekt.de - BudBrothers – Strategien und Tipps: Den Cannabis-Konsum dauerhaft beenden
https://budbrothers.eu/blogs/begriffserklarung-1/strategien-und-tipps-den-cannabis-konsum-dauerhaft-beenden - CSCS Deutschland – Cannabis-Entzug: Phasen, Symptome, Tipps
https://cscsdeutschland.de/cannabis-entzug - Klinikum Düsseldorf – Cannabis- und Stimulanziensprechstunde
https://klinikum-duesseldorf.lvr.de/de/nav_main/fachgebiete/abhaengigkeiten___suchtbehandlung/ambulante_angebote_2/cannabis - Süddeutsche Zeitung – Cannabis-Sucht: Wer und was hilft beim Aufhören?
https://www.sueddeutsche.de/gesundheit/mehr-menschen-betroffen-cannabis-sucht-wer-und-was-hilft-beim-aufhoeren - Mary Jane Berlin – Cannabis Toleranz verstehen und senken
https://www.maryjane-berlin.com/post/cannabis-toleranz - Drogenhilfe Köln – Cannabis
https://www.drogenhilfe.koeln/projekte_konzepte/cannabis/ - AOK – Die Geschichte einer Cannabisabhängigkeit und der Weg heraus
https://www.aok.de/pk/magazin/koerper-psyche/sucht/die-geschichte-einer-cannabisabhaengigkeit-und-der-weg-heraus/ - Apotheken Umschau – Cannabis-Sucht: Wer und was hilft beim Aufhören?
https://www.apotheken-umschau.de/krankheiten-symptome/psychische-krankheiten/cannabis-sucht-was-hilft-beim-aufhoeren-1066247.html





