Immer mehr Senior:innen greifen zu Cannabis – Eine Chance für die Forschung

Aktualisiert am
Veröffentlicht am
9.6.2025
Von
Philip Pranoto
Lesezeit:
2
Min.
Wer beim Thema Cannabis automatisch an jugendliche Kiffer in Skateparks denkt, liegt mittlerweile ziemlich daneben. Auch bei den Senior:innen zeigt sich ein klarer Aufwärtstrend – und das sowohl in den USA als auch hier in Deutschland. Sie greifen immer häufiger zur grünen Medizin und dabei seltener aus Lust, sondern häufiger aus Leid. Es geht um chronische Schmerzen, ernsthafte Erkrankungen und den Wunsch nach Lebensqualität im Alter.
Gruppe von Senioren die auf der Couch sitzen und rauchen

Private Rezepte für Cannabis boomen

Seit der Teillegalisierung von Cannabis im Frühjahr 2024 ist der Markt in Bewegung. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) meldete bereits im April einen sprunghaften Anstieg bei den Importen von Medizinal-Cannabis. Der Grund: Die neuen Regeln machen es deutlich einfacher, sich ein entsprechendes Privatrezept zu besorgen – vor allem über Onlineplattformen. Bundesgesundheitsministerin Nina Warken sieht darin ein Problem und spricht offen von Missbrauch. Sie fordert strengere Regeln, um zu verhindern, dass sich Freizeitkonsumenten unter dem Deckmantel medizinischer Nutzung versorgen.

Doch so einfach ist das Bild nicht. Laut Jakob Manthey, Gesundheitswissenschaftler an der Universität Hamburg, nutzen viele Menschen Cannabis tatsächlich (auch) aus gesundheitlichen Gründen – laut seiner Schätzung etwa ein Fünftel der Konsumierenden. Besonders spannend: Der Boom beim medizinischen Cannabis scheint nicht nur auf verlagerten Schwarzmarktkonsum zurückzugehen, sondern tatsächlich auch auf einen gestiegenen Bedarf.

Senior:innen entdecken Cannabis für sich

Ein Blick in die USA zeigt, wohin die Reise auch hierzulande gehen könnte. Dort kletterte der Anteil der über 65-Jährigen, die im letzten Monat Cannabis konsumiert haben, laut einer Studie von 4,8 Prozent im Jahr 2021 auf satte sieben Prozent im Jahr 2023. Meist sind es Menschen mit schweren oder chronischen Erkrankungen, die sich von der Wirkung von THC und CBD Linderung erhoffen: Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes, Bluthochdruck, Krebs oder auch COPD gehören zu den häufig genannten Diagnosen.

Auch in Deutschland ist die medizinische Nutzung von Cannabis seit 2017 erlaubt. Die Hürden für eine Kostenübernahme durch die Krankenkasse sind allerdings hoch: Erst wenn alle anderen Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft sind und das Leiden wirklich erheblich ist, kommt Cannabis überhaupt infrage.

Die Zahlen der US-amerikanischen Studie bestätigen eine vom BfArM begleiteten Erhebung von 2017 bis 2022 mit insgesamt 16.809 Cannabis Patient:innen. Das Durchschnittsalter lag bei 57 Jahren – die Tendenz zeigt also deutlich in Richtung älterer Menschen. Der häufigste Anwendungsfall war chronischer Schmerz, den über drei Viertel der Patient:innen behandeln wollten. Auch Spastiken, Appetitlosigkeit (Anorexie) und Übelkeit standen auf der Liste. 14,5 Prozent der Betroffenen litten an Krebs, 5,9 Prozent an Multipler Sklerose.

Aber: Nicht jede Therapie mit Cannabis war erfolgreich. Rund ein Drittel der Behandlungen wurde innerhalb eines Jahres wieder abgebrochen – in knapp 40 Prozent dieser Fälle lag es an mangelnder Wirkung.

Erkenntnis als Chance für die Cannabisforschung

Dass Cannabis als Medizin unter älteren Menschen besonders interessant ist, könnte als Chance gesehen werden, um die Forschung hierzulande in diesem Bereich voranzutreiben. Der Anteil der 65-Jährigen lag im Jahr 2022 in Deutschland bei 22 % und diese Zahl wird in den kommenden Jahren nur noch steigen. Geht man nach der Studie aus den USA und die des BfArM, dann wird auch das Interesse an medizinischen Cannabis weiter steigen. Damit könnte allerdings auch die Anzahl der fehlgeschlagenen Therapien steigen, welche mit mehr Forschung minimiert werden könnte. 

Bei der Legalisierung wurde auch im Gesetz festgehalten, dass 18 Monate nach dem Inkrafttreten eine Evaluation der Auswirkungen erfolgen wird.Sollten die Erkenntnisse dazu führen, dass die bisherigen Bemühungen weiter vorangetrieben werden, dann wäre die Regierung gut beraten, vor allem in die Erforschung zu investieren. Positive Ergebnisse wären dann ein gutes Argument, um diesen Teil der Senioren:innen - welche auch die größte Altersgruppe unter den Wähler:innen ausmachen - für sich zu gewinnen.

Ob wir allerdings in naher Zukunft damit rechnen könnten, dass medizinisches Cannabis zunehmend in den Fokus der Forschung rückt, bleibt abzuwarten. Cannabis ist auch nach der Legalisierung häufig noch Gegenstand teils heftiger Diskussionen in Politik und Gesellschaft. Mit Sicherheit wird es auch Stimmen aus dem konservativen Spektrum geben, die Investitionen dieser Art in die Forschung zu blockieren versuchen werden. Abgesehen davon gibt es derzeit auch andere Themen, welche Deutschland und die Welt bewegen, was auch ein Grund sein kann, dass das Thema Cannabis als Medizin in Deutschland in nächster Zeit nur ein politisches Nischenthema sein wird.

FAQs